Homeschooling: Zerreißprobe oder Chance für neue Formen des Lernens?

Wie organisieren wir uns im Homeschooling?
24. März 2020
Wie organisieren wir uns im Homeschooling?
24. März 2020
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Homeschooling: Zerreißprobe oder Chance für neue Formen des Lernens?

„Corona-Ferien“

 

Ich bin schon sehr gespannt, was da ab nächster Woche alles auf uns zukommt. Meine Kinder, 10 und 14 Jahre alt, werden – so der Elternbrief der Schule – ab Montag mit digitalem Unterrichtsmaterial versorgt. Der Zugang über Microsoft Teams ist eingerichtet, und ich persönlich würde mich ja sehr freuen, wenn wir jetzt die Gelegenheit haben, die großartigen Möglichkeiten des virtuellen Klassenzimmers mal auszuprobieren.
Jedoch stehen viele Eltern jetzt vor der großen Herausforderung, nicht nur die Betreuung für ihre Kinder zu organisieren, sondern dann auch noch das Lernen zu beaufsichtigen oder zumindest zu begleiten. Was sich jetzt für die Kids noch aufregend anhört, wird, so denke ich, bald zu einer täglichen Disziplinprobe. Und für uns Eltern wird es dadurch auf keinen Fall leichter.

Tipps für die Lernbegleitung zuhause

Daher habe ich hier ein paar Lernbegleitungs-Basics zusammengestellt. Denn als Lerncoach konnte ich in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen sammeln, wie Eltern ihre Kinder bei Hausaufgaben und Lernen unterstützen können, und wie Kinder es schaffen, Schritt für Schritt zum eigenständigen Lernen zu kommen und wie bei all dem die Familienharmonie einigermaßen aufrecht erhalten werden kann.

Ein bisschen offen ist die Sache ja noch, weil bei uns persönlich noch gar nicht klar ist, in welcher Form und Menge die digitalen Materialien bei den Kindern ankommen. Sind es eingescannte Arbeitsblätter zum Ausfüllen und das Lösungsblatt kommt am Tag darauf? Sind es Arbeitsaufträge à la „Arbeitet Kapitel 3 im Buch durch und beantwortet Fragen Nr. 2-4“? Oder wird es sogar Live-Unterricht via Videokonferenz geben?

Wir sind wirklich gespannt.

Hier kommen ein paar erste Tipps, mit denen ihr die Anfänge des Abenteuers schon mal gut bewältigen könnt. Diese Tipps habe ich übrigens schon mit meinen Kindern besprochen, und sie waren, zumindest jetzt noch, einverstanden. Und damit hat auch schon der erste Tipp zu tun:

Selbstbestimmt lernen

Fragt mal eure Kinder, wie sie sich die nächsten Wochen vorstellen. Auch wenn zuerst noch sowas wie „Chillen – wir haben doch frei!“ kommt, glaube ich, dass sie über kurz oder lang auch merken würden, dass ihnen ein bisschen Struktur fehlt 😉 Aber während sie in der Schule an die dort herrschenden Regeln gebunden sind, haben sie zuhause nun doch die Möglichkeit, etwas selbstbestimmter zu arbeiten: mit welchem Fach fange ich an? Lese ich mir das jetzt zuerst durch und löse die Aufgaben später? Arbeite ich 20 Minuten oder eine halbe Stunde? Beantworte ich die Fragen zusammen mit meiner Freundin im Videochat? Daraus erstellen sie ihren eigenen kleinen Plan und legen damit erstmal los. Wir Eltern beobachten mal, wie das läuft, und bieten unsere Unterstützung an, wenn sie uns brauchen.

Feste Lernzeiten

Eine feste Lern- und Arbeitszeit von z.B. 10 -12 Uhr vormittags und nochmal von 14-15 Uhr nachmittags fühlt sich in meiner Vorstellung (ohne dass wir das nun schon ausprobiert haben und ohne zu wissen, welche Menge sie zu bearbeiten haben) ganz gut an. Aussagen wie „Ich mach das später“ können Ausnahmen sein, aber nicht die Regel. Natürlich hängen die Zeiten mitunter auch davon ab, wie die Aufgaben seitens der Lehrkräfte gestellt werden.
Ich persönlich habe vor, meinen Kindern eine Art „Sprechstunde“ anzubieten, vielleicht am späten Nachmittag, in der ich bei bestimmten Aufgaben, die sie alleine nicht lösen konnten, unterstütze und in der wir offene Fragen gemeinsam klären. So verhindere ich, dass ich während meiner eigenen Arbeitszeit ständig um Hilfe gebeten werde und gebe den Kindern trotzdem die Sicherheit, dass sie mit meiner Hilfe rechnen können. Das wäre auch eine gute Gelegenheit für das Üben von….

Planung

Ich weiß von manchen Grundschulkindern, dass sie von ihrer Lehrkraft ein ganzes Paket an Arbeitsaufträgen per e-mail erhalten haben oder noch erhalten werden. Viele Schüler sind von so einem Paket sicher erstmal überfordert. Vielleicht enthält das Paket bereits Empfehlungen, an welchem Tag welche Aufgaben erledigt werden sollten, oder es bleibt den Schülern selbst überlassen und es gibt nur einen Abgabetermin. In jedem Fall bietet es sich an, gemeinsam die ganze Stoffmenge anzuschauen und in leicht verdauliche Päckchen einzuteilen. Welches Fach mache ich an welchem Tag? Welche Aufgaben soll ich bis wann an die Lehrkraft zurückschicken? Welche Fächer passen für mich gut zusammen und können nacheinander erledigt werden? Welche Art Aufgaben löse ich zuerst, welche mache ich später? Lasst die Kinder ihre Päckchen am besten aufmalen. So haben sie beim Abarbeiten eine visuelle Unterstützung und können erledigte Aufgaben abhaken.
Das ist eine gute Chance, zu beobachten, was und wie viel sich das Kind auf einmal zutraut , und dadurch kann es lernen, sich selbst besser einzuschätzen.

Online mit Freunden lernen

Über FaceTime, WhatsApp-Video oder andere Online-Tools haben unsere Kids jetzt die Gelegenheit, gemeinsam mit ihren Freunden bestimmte Aufgaben zu bearbeiten. Buchkapitel können gegenseitig vorgelesen werden. Vokabeln können abwechselnd abgefragt werden. Auch Mathe-Aufgaben können gemeinsam gelöst werden: man gibt sich ein paar Minuten Zeit und vergleicht dann direkt den Rechenweg und das Ergebnis. Und wenn währenddessen ein bisschen gealbert und gechattet wird, macht das überhaupt nichts. Schließlich machen sie das in der Schule mit ihren Banknachbarn auch während des Unterrichts. Und es hilft dabei, motiviert zu bleiben.

„Spaß-Lernen“

Oft genug – leider – höre ich von meinen Kindern im normalen Schulalltag, dass sie nicht verstehen, warum sie einen bestimmten Inhalt lernen sollen. Sie verstehen den Sinn dahinter einfach nicht, und ehrlich gesagt, haben wir Eltern auch nicht immer eine Antwort darauf. Ich habe meinen Kindern vorgeschlagen, ob wir die nächsten Wochen nicht auch dazu nutzen wollen, dass sie Dinge lernen, die sie wirklich interessieren und für die normalerweise aber einfach die Zeit nicht reicht. Das Kind wollte schon immer mehr über schwarze Löcher im All erfahren? Über die Herstellung von Smartphones? Übers Klima? Wunderbar, dann ist jetzt die Gelegenheit dazu, sich alle paar Tage mal ganz ungezwungen für 10-15 Minuten mit diesen Themen zu beschäftigen. Und zwar auf die Art, die unsere Kinder für sich als sinnvoll erachten: über Artikel im Internet, YouTube-Videos, Bücher, Kinder-Podcasts… es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, die wir im normalen Alltag gar nicht nutzen können. Abends kann man gemeinsam darüber sprechen. So stellt sich auch gleich ein Lerneffekt ein, und die Kinder können selbst entscheiden, ob sie noch weiter in das Thema eintauchen wollen oder sich ein neues suchen.

Die Zeit wird in den nächsten Wochen unsere größte Herausforderung sein, …

… das ist ganz klar. Und damit meine ich sowohl die zusätzliche freie Zeit, die unsere Kinder jetzt haben (O-Ton meiner 14jährigen Tochter heute Morgen: „Ich habe Angst, dass ich einen Koller kriege!“), als auch die Zeit, die wir Eltern eben nicht haben werden, um den Lernprozess unserer Kinder regelmäßig und entspannt zu begleiten.
Dennoch: geben wir uns selbst und den Kindern die Chance, dass das Ganze erfolgreich sein darf.

Vor allem sind mir die folgenden drei Dinge besonders wichtig, sowohl in meiner Rolle als Mama als auch aus meiner Erfahrung als Lerncoach heraus:

Zeit geben

Die Situation ist für uns alle neu. Ein paar holprige Startschwierigkeiten dürfen drin sein. Wir brauchen Zeit, um uns an neue Formen des Lernens zu gewöhnen und herauszufinden, was uns Spaß macht und was nicht, was gut funktioniert und was nicht. Druck auszuüben – und damit meine ich auch den Erwartungsdruck an uns selbst – wäre jetzt sicher unangebracht.

Vertrauen haben

In unseren Kindern steckt so viel kreatives Potenzial. Erlauben wir ihnen, zumindest ansatzweise selbst herauszufinden, wie sie gerne lernen – unter unserer Begleitung. Vieles darf auch einfach mal ausprobiert werden. Wenn möglich, nehmen wir uns auch die Zeit, gemeinsam mit den Kindern zu reflektieren, wie es ihnen beim eigenständigen Lernen ergeht.

Gelassen bleiben

Es wird spannend, wie wir alle mit der Gesamtsituation umgehen werden. Die besten Tipps werden es nicht verhindern können, dass wir zwischendrin mal angespannt sind, um nicht zu sagen, nahe am Ausrasten 😉 Da hilft nur durchatmen und sich bewusst werden, dass wir an der Lage nichts ändern können. Und dass wir froh sein können, wenn wir durch die ergriffenen Maßnahmen hoffentlich gesund bleiben.